5. November 2020 | Serie „Corona-Krise: Folgen für den Arbeitsmarkt“
Betriebliche Ausbildung trotz Erschwernissen in der Covid-19-Krise robuster als erwartet
Lutz Bellmann , Bernd Fitzenberger , Patrick Gleiser , Christian Kagerl , Theresa Koch , Corinna König , Ute Leber , Laura Pohlan , Duncan Roth , Malte Schierholz , Jens Stegmaier , Armin Aminian
Wenn Betriebsteile vorübergehend geschlossen oder Beschäftigte in Kurzarbeit oder im Homeoffice sind, kann es für die Betriebe eine große Herausforderung sein, die Ausbildung angemessen fortzuführen und ihre Auszubildenden zu betreuen. Tatsächlich sah sich ein erheblicher Teil der im Frühjahr dieses Jahres ausbildenden Betriebe dieser Herausforderung gegenüber. Dies zeigen Ergebnisse der Betriebsbefragung „Betriebe in der Covid-19-Krise“. So wurden Prüfungen für Auszubildende in der Hälfte der Ausbildungsbetriebe verschoben; ein gutes Drittel gab an, dass die Ausbildungsinhalte nicht wie geplant vermittelt werden konnten. In jedem fünften ausbildenden Betrieb konnten die Auszubildenden wegen Kurzarbeit nicht im gewohnten Umfang betreut werden oder tätig sein. In 13 Prozent der ausbildenden Betriebe wurde die Ausbildung durch Homeoffice beeinträchtigt. Jeder zehnte Ausbildungsbetrieb schließlich gab an, dass die Ausbilder – zum Beispiel wegen Kinderbetreuung oder Quarantäne – für einen längeren Zeitraum ausgefallen sind (siehe Abbildung 1).
Vor allem im Gastgewerbe war die Durchführung der Ausbildung durch die Krise beeinträchtigt
Wenn die Ausbildung aufgrund der Krise nicht wie gewohnt durchgeführt werden kann, hat dies potenzielle Konsequenzen sowohl für die Auszubildenden als auch für die Betriebe. So ist denkbar, dass die Lehrlinge nicht alle Stationen ihrer Ausbildung durchlaufen oder sich weniger intensiv mit ihren Ausbildern austauschen können. Was dies längerfristig für den Erwerb ihrer Kompetenzen und die Einsatzmöglichkeiten im Betrieb bedeutet, kann aktuell noch nicht eingeschätzt werden.
Die starke Einschränkung der Ausbildung in einzelnen Branchen dürfte in jedem Fall problematische Folgen für Betriebe und Auszubildende in diesen Branchen haben. Dies gilt vor allem für das von der Krise besonders betroffene Gastgewerbe, denn dort waren temporäre Betriebsschließungen und Kurzarbeit sehr weit verbreitet. Insofern ist es nicht erstaunlich, dass fast sechs von zehn Ausbildungsbetrieben in diesem Wirtschaftszweig angaben, dass die Ausbildungsinhalte nicht wie geplant vermittelt werden konnten. Die Hälfte gab an, dass die Lehrlinge wegen Kurzarbeit nicht im üblichen Umfang tätig sein oder betreut werden konnten. Darüber hinaus wurden die Ausbildungsabläufe auch bei den „Sonstigen Dienstleistungen“, zu denen beispielsweise das Finanz- und Versicherungswesen gehört, in überdurchschnittlichem Maße beeinträchtigt.
Die Krise hat die Besetzung von Ausbildungsplätzen zum Teil erschwert
Die Covid-19-Pandemie hat nicht nur die Durchführung der Ausbildung in manchen Betrieben empfindlich gestört, sie hat auch dazu geführt, dass manche Betriebe ihr Angebot an Ausbildungsstellen zurückgefahren haben. Wenn die Entwicklung der weiteren Geschäftstätigkeit und damit der künftige Bedarf an ausgebildeten Fachkräften unsicher sind, lohnt sich eine Ausbildung für die Betriebe unter Umständen nicht mehr.
Nachdem die betriebliche Ausbildungsbeteiligung über einige Jahre hinweg insbesondere im kleinbetrieblichen Segment rückläufig war, hat sie sich in den vergangenen Jahren wieder stabilisiert. Inwieweit aber hat die Covid-19-Krise die Besetzung von Ausbildungsplätzen im jetzt begonnenen Ausbildungsjahr 2020/2021 beeinflusst? Wurden bereits abgeschlossene Ausbildungsverträge möglicherweise wieder gelöst oder haben Betriebe die geplante Besetzung von Ausbildungsstellen aufgegeben?
Den Befragungsergebnissen zufolge hat rund ein Drittel aller ausbildungsberechtigten Betriebe geplant, für das jetzt begonnene Ausbildungsjahr Ausbildungsplätze zu besetzen. Die Hälfte dieser Betriebe gab an, dass die Covid-19-Krise keine Auswirkungen auf die Besetzung von Ausbildungsplätzen hatte (siehe Abbildung 2). Dabei sind es insbesondere die größeren Betriebe, an deren Besetzungsplänen sich trotz Pandemie nichts geändert hat. Zudem konnten vergleichsweise viele Betriebe im Verarbeitenden Gewerbe sowie im Baugewerbe an ihren ursprünglichen Ausbildungsplänen festhalten.
Die negativen Auswirkungen der Krise auf die Besetzung von Ausbildungsplätzen scheinen eher qualitativer als quantitativer Art zu sein. So war der Besetzungsprozess in gut einem Drittel der Betriebe nach eigener Auskunft aufgrund der Krise erschwert. Dies kann beispielsweise damit zusammenhängen, dass Vorstellungsgespräche aufgrund der Kontaktbeschränkungen nicht wie gewohnt stattfinden konnten und Praktika oder Ausbildungsmessen abgesagt werden mussten.
Bestätigt wird dieser Befund durch Angaben der Bundesagentur für Arbeit (BA), wonach die Besetzungsprozesse wegen der Krise im Vergleich zu normalen Jahren deutlich zeitverzögert abliefen. Vor allem das Gastgewerbe berichtete von erschwerten Bedingungen bei der Besetzung von Ausbildungsplätzen. Vergleichsweise geringe Probleme bei der Stellenbesetzung hatten dagegen Betriebe im weniger stark von der Krise betroffenen Baugewerbe sowie im Groß- und Einzelhandel.
Die Betriebe haben ihre Stellenbesetzungspläne nur selten revidiert
Nur zwei Prozent der Betriebe gaben an, bereits vor der Krise geschlossene Ausbildungsverträge wieder aufgelöst zu haben. Hatten Betriebe sich also schon für eine Bewerberin oder einen Bewerber entschieden, kam dieses Ausbildungsverhältnis in der Regel auch zustande. Allerdings waren zum Zeitpunkt des Beginns der Krise noch nicht alle Ausbildungsplätze besetzt. In solchen Fällen hat jeder fünfte Betrieb, der Ausbildungsplätze besetzen wollte, die ursprünglich geplante Besetzung wieder aufgegeben.
Die Daten lassen jedoch keine Aussagen darüber zu, ob die Stellenbesetzung aus betriebswirtschaftlichen Gründen nicht erfolgte, zum Beispiel aufgrund unsicherer Geschäftserwartungen oder finanzieller Engpässe, oder weil keine (geeigneten) Bewerbungen vorlagen. Auffällig ist jedoch, dass die geplante Besetzung von Ausbildungsplätzen überdurchschnittlich häufig im Gastgewerbe sowie im Bereich „Sonstige Dienstleistungen“ aufgegeben wurde.
Zudem haben kleinere Betriebe deutlich häufiger geplante Stellenbesetzungen aufgegeben als größere. Dies dürfte allerdings auch damit zu tun haben, dass die großen Betriebe ihre Stellenbesetzungen für das neue Ausbildungsjahr in der Regel bereits relativ frühzeitig abschließen und somit zu Beginn der Krise möglicherweise gar keine vakanten Ausbildungsplätze mehr hatten.
Für manche Betriebe ist auch denkbar, dass die Covid-19-Pandemie nicht zu weniger, sondern zu mehr besetzten Ausbildungsplätzen geführt hat. Dies kann etwa der Fall sein, wenn die Nachfrage nach bestimmten Gütern oder Leistungen in den vergangenen Monaten gestiegen ist und die Betriebe von einem weiteren positiven Verlauf der Geschäftstätigkeit ausgehen. Den vorliegenden Daten zufolge trifft dies jedoch nur auf drei Prozent der Betriebe zu.
Die Übernahme von Ausbildungsabsolventen wurde durch die Krise nur wenig beeinflusst
Neben der sogenannten ersten Schwelle am Ausbildungsmarkt – der Besetzung von Ausbildungsstellen – ist für Betriebe wie Auszubildende auch die zweite Schwelle von Bedeutung, also die Übernahme durch den Betrieb nach Abschluss der Ausbildung. Für viele Betriebe lohnt sich die Ausbildung finanziell erst in einer längerfristigen Perspektive, also dann, wenn sie ihre Ausbildungsabsolventen übernehmen können. Für die Ausbildungsabsolventen garantiert die Übernahme einen direkten Übergang von der Ausbildung in die Beschäftigung.
Ergebnissen des IAB-Betriebspanels zufolge ist die Übernahmequote, also der Anteil der vom Ausbildungsbetrieb übernommenen Ausbildungsabsolventen, in den letzten Jahren stark gestiegen und hat zuletzt Werte von fast 80 Prozent erreicht (nähere Informationen dazu finden Sie im IAB-Forschungsbericht 12/2020). Hat die Covid-19-Pandemie aber möglicherweise für die diesjährige Absolventenkohorte die Chancen, von ihrem Ausbildungsbetrieb übernommen zu werden, verschlechtert? Wie die Daten unserer Betriebsbefragung zeigen, ist dies nur in vergleichsweise wenigen Betrieben der Fall. Sieben Prozent der Betriebe, in denen Auszubildende in diesem Jahr ihre Ausbildung abgeschlossen haben, gaben an, dass sie weniger Auszubildende übernommen haben als ursprünglich geplant. Demgegenüber übernahmen nicht einmal ein Prozent der Betriebe mehr Ausbildungsabsolventen als geplant.
Fazit
Angesichts der Schwere der gegenwärtigen Krise, der unsicheren Geschäftserwartungen sowie der finanziellen Schwierigkeiten vieler Betriebe wurden zum Teil massive Einbrüche auf dem Ausbildungsmarkt erwartet. Wie unsere Daten zeigen, hat die Covid-19-Krise zwar durchaus die betriebliche Ausbildung erschwert, doch scheinen diese negativen Auswirkungen bislang weniger gravierend zu sein als teilweise erwartet.
Gestört wurde zum einen die Durchführung der Ausbildung, die in den vergangenen Monaten beispielsweise aufgrund von Kurzarbeit oder der Schließung von Betriebsteilen nicht immer wie gewohnt ablief. Zum anderen wirkte sich die Krise auf die Besetzung von Ausbildungsplätzen aus – Probleme, die jedoch vorwiegend qualitativer Natur waren. So berichteten Betriebe zum Teil von erschwerten Stellenbesetzungsprozessen, reduzierten aber vergleichsweise selten die Zahl der abgeschlossenen Ausbildungsverträge. Die Zahl der vom Ausbildungsbetrieb übernommenen Ausbildungsabsolventen war ebenfalls nur in wenigen Betrieben rückläufig.
Bei dieser Gesamtbetrachtung sollte man jedoch nicht übersehen, dass es einzelne Segmente der Wirtschaft gibt, in denen die Covid-19-Krise die Ausbildung in besonderer Weise erschwert hat. Dies betrifft vor allem das Gastgewerbe. Dort wurde die Durchführung der Ausbildung empfindlich gestört, die geplante Besetzung von Ausbildungsplätzen musste häufiger als in anderen Branchen aufgegeben werden.
Obwohl die Betriebe ihre Ausbildungsaktivitäten insgesamt bislang weniger stark heruntergefahren haben als befürchtet, bleibt abzuwarten, wie sich die Krise auf die Qualität der Ausbildung, die langfristige Sicherung des Fachkräftebedarfs der Betriebe in einzelnen Wirtschaftszweigen, aber auch die Arbeitsmarktchancen der jungen Erwachsenen, die hier eine Lehre absolvieren (wollen), auswirken wird.
Unklar ist schließlich auch, ob sich stärkere Auswirkungen der Covid-19-Krise vielleicht erst im Ausbildungsjahr 2021/2022 zeigen werden. In vielen Betrieben laufen derzeit bereits die Auswahlprozesse. Es ist denkbar, dass Betriebe angesichts weiterer Einschränkungen oder hoher Unsicherheit über die wirtschaftliche Entwicklung ihr Engagement in der betrieblichen Ausbildung zurückfahren. Mit der Betriebsbefragung „Betriebe in der Covid-19-Krise“ wird das IAB versuchen, die weitere Entwicklung so zeitnah wie möglich zu dokumentieren.
Bellmann, Lutz; Fitzenberger, Bernd; Gleiser, Patrick; Kagerl, Christian ; Koch, Theresa; König, Corinna ; Leber, Ute; Pohlan, Laura; Roth, Duncan; Schierholz, Malte ; Stegmaier, Jens; Aminian , Armin (2020): Betriebliche Ausbildung trotz Erschwernissen in der Covid-19-Krise robuster als erwartet, In: IAB-Forum 5. November 2020, https://www.iab-forum.de/betriebliche-ausbildung-trotz-erschwernissen-in-der-covid-19-krise-robuster-als-erwartet/, Abrufdatum: 21. November 2024
Autoren:
- Lutz Bellmann
- Bernd Fitzenberger
- Patrick Gleiser
- Christian Kagerl
- Theresa Koch
- Corinna König
- Ute Leber
- Laura Pohlan
- Duncan Roth
- Malte Schierholz
- Jens Stegmaier
- Armin Aminian